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32 Jahre entwicklungspolitische Arbeit

 

Noch einige Anmerkungen zum „Fall“ Lugo(s)
von Hermann Schmitz † 30.03.2019
12.07.12     A+ | a-
Dem Kirchenmann Lugo ist ja das heimliche, oft niederträchtige Vorgehen und Gerichthalten der katholischen Hierarchie gegen einzelne Mitglieder durchaus vertraut.
Und ähnlich hat ihn  nun auch die rechte Mehrheit in seinem eigenen Parlament behandelt. Allerdings mit einem Unterschied: Seine politischen Feinde versuchen wenigstens, wenn auch windelweich und verlogen, ihr  Handeln zu rechtfertigen, indem sie auf Statuten hinweisen. Auch ein kleines bisschen Verteidigung lassen sie zu  -  sarkastisch könnte man sagen, die Kirche kann davon lernen......
Neben den eilfertigen paraguayischen Bischöfen, die der neuen Regierung gar nicht schnell genug ihren Segen geben konnten (alles natürlich „zum Wohle des Volkes“), gab es auch den guten alten Bischof Mario Melanio Medina, „der letzte Progressive“, der in einer Predigt den neuen Präsidenten ironisierte:
„Armer Franco, in was für einen Schlamassel bist du geraten, die parlamentarische und kapitalistische Zwangsjacke werden sie dir verpassen und nichts gestatten, solltest du denn was Gescheites vorhaben .....“ Auch Medina sprach von einem „parlamentarischen Putsch“  -  Lugo sei gefeuert worden, weil er „für die  Armen kämpfen wollte“.

„Niebel adelt die Putschisten“  -  mit diesem Titel (25. Juni) geht auch die Frankfurter Rundschau mit Niebel hart ins Gericht, und das Shakehands - Foto mit den beiden Oberliberalen zeigt das schlaue Kerlchen Dirk und den sichtlich zufriedenen frisch aus dem Hut gezauberten Präsidenten Franco. Ein prominenter Gast wie der bundesdeutsche Entwicklungshilfeminister kam ihm gerade recht. Man sieht es ihm an.
Mehr als peinlich: Niebel kriegt es fertig, bei den fortschrittlichen Kräften Paraguays das Bild unseres Landes, dessen Solidarität sie dringend benötigen, wieder einzutrüben: Deutschland ist nicht interessiert, nicht informiert, immer gut zu Fuß mit den Rechten.
Mit Sicherheit hatte Niebel den derzeitigen deutschen Botschafter fest an seiner Seite.
Dieser rechtslastige Herr, den kennen zu lernen wir das mehr als zweifelhafte Vergnügen hatten, gehört zu den Restbeständen der deutschen Diplomatie und wird auf seinem letzten Posten Paraguay entsorgt. Ein unangenehmer Mensch. Er wird Niebel ein guter Ratgeber gewesen sein.

Der venezolanische Präsident Hugo Chávez, nicht ganz unerfahren in Sachen Putsch, hat seine schärfste „Waffe“ eingesetzt: Stopp der Öllieferungen an Paraguay, als gerechte Strafe für den Rausschmiss seines Kollegen Lugo. Öl ist der Schmierstoff für Chávez Außenpolitik.
Wer so viel davon hat, kocht halt sein Süppchen mit Öl ....                 
Ein südamerikanischer Freund, der regelmäßig und sehr intensiv die politischen Vorgänge auf dem Kontinent verfolgt, erwähnt einen anderen Aspekt: Uruguay und sein linker Präsident Mujica seien zwar scharfe Kritiker der Amtsenthebung. Auf dem Gipfel „Mercosur und Volksrepublik China“ seien sie aber soeben leider Zeugen der Nichtteilnahme Paraguays geworden. Bis zuletzt unter Lugo unterhielt Paraguay nämlich keine diplomatischen Beziehungen zur VR China, vielmehr wurde die exklusive Anerkennungspolitik der Vorgängerregierungen gegenüber Taiwan fortgesetzt.
Was blieb auch anderes, ohne Mehrheit für eine Änderung.
Diese Nibelungentreue versüßte Taiwan dem willfährigen Verbündeten mit Millionengeschenken, die allerdings durch dieselbe Korruptionsmaschine Marke Paraguay liefen wie alle anderen Gelder.
Ironie des Schicksals: Lugo wurde in just dem Kongressgebäude seines Amtes enthoben, das vor ein paar Jahren mit Taiwangeldern errichtet wurde.
„Und ein Präsident ohne politische Unterstützung? Der taugt doch wohl nicht viel .....“, schlussfolgert unser Freund.
Kann man so sehen. Jedenfalls nehme ich ihm diesen Gedanken nicht übel, wohl aber der Konrad Adenauer Stiftung. Die zitiert listig einen Kolumnisten Carlos Gervasoni (?), der das Verfahren gegen Lugo zwar als „unüblich“ und „unvorsichtig“ bezeichnet, aber nicht als illegal. Auch gefällt der KAS der Kommentar der brasilianischen ´Folha de São Paulo´, die hervor hebt, dass Lugo „die Regierungsfähigkeit verloren“ habe, auch sei er schließlich „nicht im Schlafanzug mit einem Militärflugzeug außer Landes gebracht“ worden.

Fazit:
Die rechtsextremen Amtsentheber waren nicht gewitzt genug. (Sie hätten halt noch mehr tricksen müssen).
Die Regierung Lugo ist des Regierens nicht fähig. (Außer Kinderzeugen hat der Ex-Bischof sowieso nichts gemacht),
und überhaupt soll er sich mal nicht so haben, er sei schließlich nicht wie Honduras´ Zelaya im Nachthemd vorgeführt worden......

„Sie bespucken dich und sagen dir gleichzeitig ´ Du bist schön´.... so Lugo zu einem telefonischen Interviewpartner von der linksliberalen argentinischen „Página 12“. Er bezog sich u. a. auf den neuen Präsidenten, der sich seinem Opfer anbiederte: “Lugo ist der Einzige, der einen größeren internationalen Konflikt verhindern kann.“

Lugo hat sich heiser geredet in den letzten Tagen, auf www.paraguayresiste.com  und www.zas-correos.blogspot.ch kann man das verfolgen. Wovon er nicht (mehr) spricht, das ist sein  Ministerauswechselprogramm: Wegen der Ereignisse in Curuguaty setzt er den Innenminister Carlos Fillizola ab und ernennt den ehemaligen Staatsanwalt Candía Amarilla, der gern soziale Gruppen schikanierte und für seine Amtszeit eine „harte Hand“ ankündigte. Schlimmer noch war die Ernennung von A. S. Morán zum nationalen Polizeichef, der gleiche Mann, der den Einsatz der Operation Curuguaty leitete. Der Repressionsapparat liegt also jetzt in „bewährten Händen“ von Colorado-Hardlinern.

Wieder Repression wie früher?

Das ist, wenn überhaupt, nur als taktische Maßnahme zu begreifen, um z. B. neue Allianzen vorzubereiten. Und welche Beiträge werden diese beiden neuen Minister wohl zur Aufklärung des Blutbades beitragen ?
Bei weiter gehendem Interesse an den Vorgängen in Curuguaty und deren Folgen:
Ein (deutschsprachiger!) kenntnis- und faktenreicher Hintergrundbericht ist unbedingt  zu empfehlen hier >>

Der berühmte paraguayische Anthropologe Bartomeu Meliá sah auf dem Platz vor dem Kongress „ein Volk, das gegen alle Hoffnung hoffte, wohl wissend, dass die ´Tragikkomödie´ schon lange programmiert war......Die neue Diktatur kündigte sich an“. Meliá hofft allerdings auch auf die gewachsene politische Reife der Paraguayer.

Ähnlich unser Freund und Partner Pater Oliva, der darauf vertraut, „dass wir Farbe bekennen bei dem anstehenden Besuch von Mitgliedern der internationalen Gemeinschaft, die uns prüfen will, ob wir nicht vielleicht meinen, es sei nicht viel passiert bei uns. Dass sie Lugo halt wegen ´Untauglichkeit´ abgesägt haben. Dass doch alles ruhig sei und besser als vorher.“ 

Und dann zählt Oliva die Erfolge der Lugo-Administration auf   -  warum sie nicht auch hier nennen:

- Beihilfe für Alte ab 65 (wenn auch bescheiden)
- Dezentralisierung und mehr als hundert Millionen Dollar für die lokalen Politiker zur
- Verbesserung der Infrastruktur, vorher völlig vernachlässigt und zentral geregelt
- Kostenloser Gesundheitsdienst und bessere Behandlung
- Computer für jeden Schüler (Programm)
- Rückgang der Kriminalität, Rückgang der Korruption, mehr Rechtsstaatlichkeit
- Programm „Offenes Mikrofon“ für die Bürger  -   u.v.m.

Ich würde noch einen „Wert an sich“ nennen: Zum ersten Mal seit Jahrzehnten wurde das paraguayische Volk von einem Präsidenten vertreten, der nicht in Mafiageschäfte verstrickt ist, der nie einen Putsch angezettelt hat, der nicht korrupt ist, nicht intellektuell unterbelichtet und anderes mehr  -  Merkmale, die für alle Präsidenten vor Lugo mehr oder weniger zutrafen. So hatte jeder von ihnen auf seine Weise Paraguays Ansehen in der Welt ruiniert bzw. der Lächerlichkeit preisgegeben.   
                          
Diese präsidiale Pannenserie hat Lugo erstmals durchbrochen, indem er sein Land wieder salonfähig machte  -  trotz seiner folgenreichen amourösen Abenteuer mit inzwischen vier nachgewiesenen Sprösslinge (mit mehreren Frauen, versteht sich.....) (Ein Freund dreht mir das Argument der „positiven Außendarstellung“ glatt um, er hat nämlich die Auslandsbesuche von Lugo gezählt:
„Wie kann Lugo überhaupt regiert haben  -  er war ja nie da! 97mal war er auf Staatskosten unterwegs, wenn ich die Zeit zusammen rechne ..... Vielleicht hätte er das Ergebnis seiner Fleißarbeit den Parlamentskollegen Lugos mitteilen sollen als weiteren Anklagepunkt, das hätte zu ihrer bizarren Liste seiner Verfehlungen gepasst)

Auch
Martín Almada, Menschenrechtler und Träger des alternativen Friedensnobelpreises (2002), der Lugo unterstützt hat, würde diesem weder seine Kinder nachrechnen, noch hat er eine Abwesenheitsliste geführt, wohl aber hält er ihm seine „ängstlichen Entscheidungen“ vor, welche nachgerade eine Aufforderung an die rechten Kräfte gewesen seien, noch „einen drauf zu tun“. Als gravierende Fehler empfindet er, weder dem Volk noch den Streitkräften genügend vertraut zu haben, diese beiden seien schließlich seine Hauptstütze gewesen. Statt individueller Verhandlungen hätte er sich laut Almada öfter mit den Organisationen beraten sollen,.
Lugo sei mit Hilfe der Rechten und der Liberalen an die Macht gekommen, aber „eine progressive Regierung darf mit den Rechten einfach nicht zusammen gehen  -  man muss sich dann über einen Putsch nicht wundern...“
Recht hat er, aber die Geschichte kann man leider nicht zurück drehen.
„Dieser Putsch ohne Säbelrasseln und Pulverdampf riecht nach Dollar“, ist seine Charakterisierung des Geschehens, und er führt als Beispiel den unvorstellbar kostbaren Bodenschatz des „acuífero“ an. Diese unterirdische Wasserader habe auch USA fest im Blick.

Alfredo Boccia Paz ist Universitätsprofessor und Historiker für Zeitgeschichte.

Für ihn spaltet die aktuelle Krise die paraguayische Gesellschaft so tiefgehend wie selten zuvor. Einzigartig sei dieser sich selber als sozialistisch bezeichnender Präsident an der Spitze eines sozial und politisch extrem konservativen Landes.
„Das war keine Parteienkrise, da einer der Konfliktpole aus wenigstens fünf politischen Parteien zusammen gesetzt war, der andere Pol aus einer diffusen Mischung aus Linksparteien und sozialen Organisationen. Nein, das war eine ideologische Krise, in der sich auf die Seite der konservativen Koalition mächtige externe Kräfte schlugen: Unternehmerverbände, die kirchliche Hierarchie und die kommerzielle Presse........“   Und Boccia konstatiert:
„Daneben aber existiert als grotesker Kontrast eine verborgene Realität: Die enorme Ungleichheit unserer Gesellschaft, die leicht zu einer Gewaltspirale auf dem Land führen kann. In Curuguaty entlud sich bereits die aufgestaute Wut, eiskalt ausgenutzt von den politischen Opportunisten......“  Boccia verweist auf ein Paradox:
„Diese konservative Koalition litt an ideologischen Bauschschmerzen, konnten sie doch Lugo nicht offen beschuldigen, ihre Geschäfte nachhaltig zu stören. Ganz im Gegenteil machten viele von ihnen in den Lugojahren höhere Gewinne. Aber: Dieser Lugo war eben Sozialist! War er das wirklich? Manchmal bedaure ich, dass  er genau das eben nicht war. Er hat nichts anderes getan, als erste Schritte auf dem Weg zu einem etwas sozialeren Staat zu wagen, und zwar in dem Staat mit der größten sozialen Ungleichheit in Südamerika!
Das war zwar ´unerhört´, aber doch nicht sozialistisch......“  So weit Alfredo Boccia Paz.

Und was sagt der geschasste Präsident zu seinem Rauswurf?
Nachzulesen bei MISEREOR; in einem Artikel und Interview mit Fernando Lugo unter dem folgenden Link.

Wir als PPI denken auch zurück an Begegnungen mit Lugo, zuletzt bei der Einweihung „unserer“ organischen Zuckerfabrik  auf unsere Seite hier  >>>
(Die Musik des Video von damals passt!)

Bericht und Fotos: Hermann Schmitz
                                   

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